Kann sich in Deutschland eigentlich jeder alles erlauben?

  • Einen Kommentar in der "Süddeutschen" (leider nicht online) möchte ich zum Anlaß nehmen, um auf einen Aspekt des Holocausts hinzuweisen,der neben der Ermordung Millionen von Menschen im "Dritten Reich" als marginal zu bezeichnen ist: Der Schaden für die deutsche Kultur und Sprache.
    Bis zur Vernichtung der jüdischen Bevölkerung in den osteuropäischen Staaten war Deutsch die "Lingua franca" die Verkehrssprache. Für die Juden dieser Gebiete waren die deutsche Sprache , Literatur, Wissenschaft, Philosophie, Musik der Gipfel der kulturellen Entwicklung, Deutschland das Land der Hoffnung. Die Entstehung des Zionismus war eine Folge, daß im "Deutschen Reich" diese Hoffnungen blockiert wurden.
    Das in den Stetl Galiziens gesprochene "Jiddische" war eine mittelhochdeutsche Mundart. Die Beiträge dieser Juden zur deutschen Literatur sind unschätzbar. Daß der gegenwärtige Gebrauch der deutschen Sprache so verludert ist, ist auch eine Folge der Ausrottung der europäischen Juden und ihrer Liebe zur deutschen Sprache.
    Beispiele für die Verluderung:
    http://www.tagesschau.de/aktuell/meldun…06_REF1,00.html

    Gruß
    rabenvogel

  • Mein letzter Beitrag in diesem Thread blickt zunächst weit zurück in die germanische Geschichte, um dann in die heutige Zeit zurückzukehren.
    Odin (zueilen auch Wotan genannt), der Herr und König der Götter und Menschen in den germanischen Sagen, hatte ein Rabenpaar auf seiner Schulter sitzen. Es waren Hugin(Gedanke) und Munin (Gedächtnis).
    Gegenwärtig wird sowohl das Denken als auch das Gedenken nicht mehr sehr hochgeachtet. Das sollten wir alle wohl bedenken.

    Gruß
    rabenvogel

  • Auf Deutsche bezogen:
    • Niemand der heute unter 85 - jährigen ist verdächtig, eine pesrönliche Schuld zu haben.
    • Schuld im Sinne der hier diskutierten Schuld ist nicht vererbbar.
    • Die Schuldfrage ist für mich daher erledigt.

    Auf Deutschland bezogen:
    • Die Bundesrepublik Deutschland ist der derzeitgige Rechtsnachfolger des Dritten Reiches. Daraus erwächst keine Schuld, aber Verantwortung für das, was geschehen ist. Ich verweise nochmals auf die Rede des Präsidenten des Deutschen Bundestages (siehe meinen letzten Beitrag)

    Zitat von Wolfgang Thierse

    ... Die Schuld, die Deutschland auf sich geladen hat, darf nie vergessen werden. Wenn diese Schuld auch nicht übertragbar ist: die Verantwortung, die aus ihr erwächst, ist sehr wohl übertragbar...


    • Diese Verantwortung ist auch juristisch geregelt in internationalen Verträgen und z.B. in Gesetzen der Bundesrepublik Deutschland:

    Zitat von StGB Paragraph 130 (Volksverhetzung)

    Absatz (3): Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer eine unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangene Handlung der in § 220a Abs. 1 bezeichneten Art in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, öffentlich oder in einer Versammlung billigt, leugnet oder verharmlost.


    • Hätte ein niederländischer Kardinal die Äusserungen des Herrn Dr. Meisner in den Niederlanden getätigt, hätte es eine Diskussion gegeben, aber keinen Strafantrag wegen Volksverhetzung. In Deutschland ist das aber auf Grund bestehender Gesetzt so, und ein Richter wird irgendwann einmal darüber entscheiden, und das ist gut so!
    • Deutschland hat jetzt und in Zukunft die Verantwortung für den Holocaust zu tragen. Holland oder welcher andere Staat auch immer hat keine Verantwortung für den Holocaust zu tragen. Das ist der Unterschied.

    Fazit:
    Ich persönlich und alle Teilnehmer, die hier gepostet haben, tragen keine Verantwortung für den Holocaust, aber Deutschland ist nicht aus der Verantwortung zu entlassen, damit sich ähnliches nicht wiederholt. Wenn ein Kardinal von einer Kanzel in Deutschland eine Parallele zwischen Abtreibung und Holocaust zieht, muss der (deutsche) Staat eingreifen und den Kardinal vor den Richter ziehen. Das nenne ich die geschichtlich erwachsenen Verantwortung aus dem Holocaust wahrzunehmen.

    Gruss

    "Krieg ist ein zu ernstes Geschäft, als daß man ihn den Generälen überlassen dürfte." Georges B. Clemenceau (1841-1929), Französischer Journalist und Politiker/Ministerpäsident

  • Aha, wieso nur Deutschland?
    Wieso nicht die Welt? Die Gefahr das irgendwo Ultrarechte regieren ist überall höher als in Deutschland (auf die westliche welt bezogen).

  • Zitat von xeen

    Aha, wieso nur Deutschland?
    Wieso nicht die Welt? Die Gefahr das irgendwo Ultrarechte regieren ist überall höher als in Deutschland (auf die westliche welt bezogen).


    1. Weil nur Deutschland als Rechtsnachfolger des Dritten Reiches die Verantwortung für den Holocaust zu übernehmen hatte (und um den verantwortungslosen Holocaust-Vergleich des Herrn Dr. Meisner ging es mir in diesem thread, um nichts anderes!)
    2. Richtig, seh ich auch so mit der Gefahr.

    Aber jetzt lass ich ausnahmsweise mal meine Wut gegen Amtskirchen heraus:
    Egal, wie man zum Thema Abtreibung steht:
    Wer als Amtskirche im Dritten Reich (Deutschland also!) weggeschaut hat bei der systematischen Vernichtung des jüdischen Volkes, hat als Würdenträger der Amtskirche in Deutschland (heute also!) kein Recht, unter Hinweis auf den Schutz des (ungeborenen) Lebens mit Finger auf schwangere Frauen zu zeigen! Andere: Ja, Kardinäle in Deutschland: Nein :twisted::twisted::twisted:

    http://projects.brg-schoren.ac.at/nationalsozialismus/kirche.html

    Zitat

    Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Kommunist.
    Als sie die Sozialdemokraten einsperrten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Sozialdemokrat.
    Als sie die Gewerkschafter holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Gewerkschafter.
    Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte.
    Martin Niemöller

    Gruss

    "Krieg ist ein zu ernstes Geschäft, als daß man ihn den Generälen überlassen dürfte." Georges B. Clemenceau (1841-1929), Französischer Journalist und Politiker/Ministerpäsident

  • Deutschland als Rechtsnachfolger des dritten Reichs?
    Interessanterweise wird gleichermaßen behauptet, daß Deutschland erst mit der Nachkriegszeit begann zu existieren (was als Beleg dafür genommen wird, keinen Stolz auf soziale Errungenschaften von z.B. dem alten Fritz und Bismarck zu hegen (Sinn oder Unsinn von Stolz auf nicht selbsterbrachte Leistungen außer acht gelassen).
    Verantwortung trägt nur Deutschland? Sorry, das wegsehen der Alliierten ist auch nicht korrekt. z.B. gibt es eine historische englische Seite mit Aufnahmen der alliierten Luftwaffe (etwa 5 Millionen Bilder, Name der Seite war etwas mit eye of camera oder evidence).
    Diese haben britische Wissenschaftlern die Frage aufgeworfen, ob die Allierten nicht eine Mitschuld tragen, weil sie ohne Probleme die Zufahrtswege der Züge nach Ausschwitz viel eher hätten bombardieren können. Bisher gibt es immer noch keine Anwort warum es nicht getan wurde.

    Geht es um einen juristischen Begriff der Verantwortung in Bezug auf Entschädigungszahlungen (besser Erleichterungszahlungen für das gegenwärtige Leben, denn die Erfahrung im KZ kann niemand entschädigen, dann stimmte ich dem Begriff der "Verantwortung" der Institution zu. In allen anderen Fällen nicht. In diesem Land wird wie in kaum einem anderen Demokratie gelebt, auch wenn sie immernoch nicht richtig funktioniert. Die Freiheit von Minderheiten wird hier großgeschrieben, ebenso wie gegen die Unterdrückung gekämpft wird.

    Ein Festlegen einer Verantwortung gegenüber einer Bevölkerungsschicht ist schlichtweg eine geschichtliche Lüge wie ein Schlag ins Gesicht aller anderen Opfer, weil sie nicht im Mindestens erwähnt werden. z.B. finde ich das Mahnmal in Berlin ok, was mich nur daran stört, es ist kein Mahnmal gegen das Verbrechen und aller seiner Opfer, sondern ein Mahnmal für eine Gruppe der Geschändeten. Sind die anderen keiner Erwähnung wert?
    Was ist mit den anderen Opfern des Krieges? Im Krieg gibt es keine Gewinner, nur Verlierer, aber in diesem Krieg gab es nur einen. Und das ist falsch. Fälschlicherweise werden solche Worte aus dem Mund eines Deutschen als Aufrechnung gewertet. Mit anderen Worten, man gehört der falschen Nation an, wenn man soetwas sagt. Wird dadurch der Kampf gegen Rassismus nicht ad absurdum geführt, wenn ich nichts sagen darf, nur weil ich den falschen Paß habe?

    Keine Verantwortung tragen bedeutet ist nicht gleich vergessen. Und nochmals, es wird sich so sehr auf das Verbrechen mit spezifischen Opfern und Tätern konzentriert, daß ein neuer Ausbruch an anderer Stelle untergehen könnte.

    Wie krank mit dem Thema umgegangen wird sieht man daran, wenn jemand Vergleiche mit Hitler anstellt. Anstatt über den Sinn oder Unsinn darüber zu diskutieren, wird die Person mit Floskeln totgeredet.
    Es gibt keine Diskussion zu diesem Thema, denn eine Diskussion beinhaltet zu hinterfragen, das ist in Deutschland größtenteils politisch nicht korrekt.

    Amsterdammer:
    Ich respektiere Deine Meinung und schätze Deine mir nicht entsprechende Meinung, weil sie mir neue Gedankenwege eröffnet und meine eigene Meinung mich hinterfragen läßt.
    Aber:

    Zitat

    Wer als Amtskirche im Dritten Reich (Deutschland also!) weggeschaut hat bei der systematischen Vernichtung des jüdischen Volkes, hat als Würdenträger der Amtskirche in Deutschland (heute also!) kein Recht, unter Hinweis auf den Schutz des (ungeborenen) Lebens mit Finger auf schwangere Frauen zu zeigen! Andere: Ja, Kardinäle in Deutschland: Nein Twisted Evil Twisted Evil Twisted Evil

    Das ist schlichtweg falsch (dickgedrucktes), in Deiner eigenen Argumentation. Wenn Deutschland an sich eine Verantwortung trägt, nicht aber die Individuen des Landes, dann muß das gleiche für die Institution Kirche gelten. Die Institution Kirche darf dann nicht diese Stellung einnehmen, wohl aber einzelne Mitglieder dieser Institution. Allerdings halte ich den Vergleich auch für verfehlt, auch wenn ich für Abtreibungen nur bei guten Gründen gibt, aber jeder einzelner Mensch in der Kirche darf seine Meinung haben und vertreten. Bei allen Fehlern die die Institution Kirche begangen hat, man darf sie nicht einzelnen ankreiden.

  • Zitat von Fraggle

    Bei allen Fehlern die die Institution Kirche begangen hat, man darf sie nicht einzelnen ankreiden.

    Um nur mal kurz auf diesen Aspekt einzugehen: der Unterschied ist daß die meisten Deutschen aus ihrer Geschichte gelernt haben, die Kirche hat es jedoch in sehr vielen Dingen nicht. Das fängt mit innerkirchlichen Querelen an: Du erinnerst Dich vielleicht daran daß es vor einiger Zeit mal die Bestrebungen gab, im größeren Umfang ökumenische Veranstaltungen abzuhalten, weil genau das im Sinne der Gläubigen gewesen wäre. Die Kardinäle haben - größtenteils, wenn man auch fairerweise sagen muß: nicht alle - Zeter und Mordio geschrien, und schließlich hat sich der Papst persönlich eingemischt und das ganze unter Strafandrohung (Enthebung von den Ämtern usw) verboten. Die katholische Kirche hätte sich keinen Zacken aus der Krone gebrochen, aber nööö ... man mußte ja unbedingt Recht behalten; und das ist nur ein Beispiel.

    Wenn nicht der Gesetzgeber manchen Dingen einen Riegel vorgeschoben hätte würde vermutlich heute noch einiges so laufen wie im späten Mittelalter bzw. in der frühen Neuzeit. Kardinal Meisner oder auch Ratzinger sind nur zwei Beispiele für diese "ewiggestrigen". Sicherlich ist es nicht immer falsch an "alten Werten" festzuhalten, aber trotz allem sollte auch die Kirche - besonders die katholische - erkennen daß sich die Welt verändert hat. Die evangelische ist da insgesamt schon deutlich weiter. Wie aber schon gesagt: in beiden Fällen gibt es Extreme in die jeweils andere Richtung.

    Gruß
    Rick

    Windows 7 • Windows XP • MacOS 10.14.2 • It's better to be hated for what you are than to be loved for what you're not.

  • Nur mal kurz zur Erklärung:
    Die Institution Kirche besteht aus Papst, Kardinälen, Pastören und Gläubigen. Nicht nur aus Papst und Kardinälen.
    Ja, die Institution im oberen Bereich lernt langsam, wie man an der Rekommunizierung von Gallileo ja sah (meiner Meinung nach hätten sie es nicht formell machen sollen, sondern einfach sagen müssen "klar, war ein Fehler". Andererseits haben sie auch durch das späte offizielle gezeigt, daß sie bereit ist zu ihren Fehlern zu stehen.
    Wie wenig die Institution Kirche von oben diktiert wird (wieviel sieht man leichter), kann man an einigen Kardinälen in (zumindest) Deutschland sehen, und wie oft diese schon dem Papst auf die Füße getreten sind. Die Antwort sieht man auch bei der Bennenung von neuen Kardinälen, wer zuletzt in welchem Alter benannt wurde.

    Ein entschiedenes Nein bei der Veruteilung der Institution, denn das bedeutet alle über einen Kamm zu scheren. Und dagegen wehre ich mich bei jeder Gelegenheit. Ein entschiedenes Ja hingegen bei den Verbrechen die im Namen der Kirche und des Glaubens begangen wurden, und daß die Kirche eine offizielle Entschuldigung und Abbitte leisten muß. Damit wäre es dann aber auch erledigt, denn wie auch oben gilt, ich darf nicht jemanden für etwas verantwortlich machen, was er/sie nicht begangen hat. In der Richtung bin ich extrem, keine Sippenhaft mehr, keine Gruppenverurteilung. Und das auf alles bezogen, im Positiven wie im Negativen.

  • Zitat von Fraggle

    Wie wenig die Institution Kirche von oben diktiert wird (wieviel sieht man leichter), kann man an einigen Kardinälen in (zumindest) Deutschland sehen, und wie oft diese schon dem Papst auf die Füße getreten sind. Die Antwort sieht man auch bei der Bennenung von neuen Kardinälen, wer zuletzt in welchem Alter benannt wurde.


    Die Kirche braucht ja gar nicht von oben diktiert zu werden, dafür gibt es ja [ironisch]zum Glück[/ironisch] die gegenseitige Unflexibilität.
    Ich habe jetzt noch nicht viel erfahren über irgendwelche Kardinäle, aber ich habe mich auch nicht diesbezüglich informiert. Wäre nett, wenn man mir ein wenig Information zuschicken könnte. Ich weiß nur von einem Priester, der Frauen auf einem Donauschiff gewiehen hat, und daraufhin [ironisch]glücklicherweise[/ironisch] exkommuniziert wurde, weil ja nur Menschen und keine Frauen Gottesdiener sein dürfen und die Erde eine Scheibe ist und Rom im Mittelpunkt des Weltalls, und das auch noch alles in der Bibel steht. *endedessarkasmus*

    Zitat von Fraggle

    Ein entschiedenes Nein bei der Veruteilung der Institution, denn das bedeutet alle über einen Kamm zu scheren.


    Wieso? Die Institution besteht aus Institution, und der einzelne trägt zwar immer zum Gesamtbild bei, kann aber am Gesamtbild nicht viel ändern, auch wenn er es will, weil seine Vorschläge - wie so oft im Leben - auf Trägheits- oder Machtgier-Granit stoßen, oder er kann es nicht, denn wenn er die Macht/den Einfluss/das Geld/die Freunde hat es zu erreichen, melden sich wieder die konservativen Mächte, oder er gehört selber dazu und hat an Änderungen somit kein Interesse.
    Und zur Änderung eines solchen Systems - ich will mich hier nicht auf die Kirche beschränken - bedarf es quasi immer einer Katastrophe (z.B. Frz. Revolution, verlorener Krieg...).
    Also ist das eigentlich kein "über einen Kamm scheren", sondern die Nicht-Möglichkeit, die Ohnmacht jedes einzelnen Andersdenkenden, jedes Idealisten, jedes Perfektionisten zu erkennen und die Auswirkungen, die ja nun doch überaus zufällig verhältnismäßig häufig Verbesserungen bewirken würden, in bezug auf die Gesamtsituation ausreichend zu würdigen.

    [/Augenkrebsgefahr="Wurmsätze"]

  • Zitat von ertua


    Wieso? Die Institution besteht aus Institution, und der einzelne trägt zwar immer zum Gesamtbild bei, kann aber am Gesamtbild nicht viel ändern, auch wenn er es will, weil seine Vorschläge - wie so oft im Leben - auf Trägheits- oder Machtgier-Granit stoßen, oder er kann es nicht, denn wenn er die Macht/den Einfluss/das Geld/die Freunde hat es zu erreichen, melden sich wieder die konservativen Mächte, oder er gehört selber dazu und hat an Änderungen somit kein Interesse.
    Und zur Änderung eines solchen Systems - ich will mich hier nicht auf die Kirche beschränken - bedarf es quasi immer einer Katastrophe (z.B. Frz. Revolution, verlorener Krieg...).
    Also ist das eigentlich kein "über einen Kamm scheren", sondern die Nicht-Möglichkeit, die Ohnmacht jedes einzelnen Andersdenkenden, jedes Idealisten, jedes Perfektionisten zu erkennen und die Auswirkungen, die ja nun doch überaus zufällig verhältnismäßig häufig Verbesserungen bewirken würden, in bezug auf die Gesamtsituation ausreichend zu würdigen.

    Wenn man die "Kirche" als solches anschuldigt, beschuldigt man auch jeden einzelnen - bzw. die "Idee" dahinter.
    Man sollte die Schuld immer bei realen Personen suchen, nicht bei abstrakten Systemen. Die Kirche ist ein abstraktes System.

  • Danke cyberman. Das hätte ich auch geantwortet.

    Eine Institution besteht nun mal aus Menschen und Menschen sind nicht alle gleich. Die Kirche ist im eigentlichen Sinne die Gemeinde und nicht Papst und Kardinäle.
    Nehmen wir die oft in der Kirche verwendete Metapher der Schafherde. Wer ist die Schafherde, der Hirte und Hirtenhunde oder die Schafe?

    Zurück zu den Menschen, die eine Institution bilden. Verurteile ich die Institution an sich, verurteile ich alle Menschen, und das ohne etwas über sie zu wissen. Wozu das führen kann, wurde im Prinzip in einem Nebenzweig dieser Diskussion gezeigt.
    Artikel 1:
    (1) Die Würde des Menschen ist unantastbar.....
    Artikel 2:
    (1) Jeder hat das Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er ncht die Rechte anderer verletzt...
    Artikel 3:
    (1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.
    (3) Niemand darf wegen seines Geschlechts, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.

    Eine Verurteilung der Institution Kirche und damit der Anhänger verstößt gegen Artikel 2 Absatz 1 und Artikel 3 Absatz 3 (fetter Bereich)
    Zum Nebenfaden dieses Posting, eine kollektive Verantwortung Deutschlands und somit der einzelnen Menschen dieses Landes widerspricht Artikel 3 Absatz 3 (unterstrichener Bereich).
    Dummerweise könnten rin theoretisch auch Rechte sich auf Artikel 3, Absatz 3 (kursiv) beziehen, diese Grundlage wird aber durch Artikel 2 Absatz 1 außer Kraft gesetzt.

    IMHO sind übrigens diese drei Artikel im deutschen Grundgesetz das Beste, was unsere Politker je zustande brachte (klingt vielleicht ein wenig zynisch, aber wer das denkt, sollte sich den Inhalt mal genauer durch den Kopf gehen lassen)

  • Fraggle

    Der von dir zitierte §3 Grundgesetz spricht von Individuen, also einzelnen Menschen, nicht von Institutionen !

    Eine Gleichsetzung einer Institution mit der Menge ihrer Mitglieder ist nicht korrekt.

    Eine Institution wird von Mitgliedern gegründet und dann getragen, die sich einem gemeinsamen "institutionellen Regelwerk" ( z.B. Satzung ) unterwerfen ( Bedingung für die Mitgliedschaft ). Diese Institution benötigt zur Durchführung ihrer von den Mitgliedern erwarteten zB organisatorischen Arbeit immer eine gewissen Bürokratie / Verwaltung. Und genau diese "Verwaltungen" sind es, die sich im Laufe der Zeit immer mehr aufblähen, immer mehr zur Pfründe der Verwaltungsmitglieder werden.
    Je mehr Mitglieder desto grösser wird diese Institution / Verwaltung und desto weniger Einflussmöglichkeiten bleiben für das einzelne Mitglied.

    Im Bereich der Religion .. des Glaubens .. sind es dann diese "Institutionen", die über die ihrer Meinung nach richtige Auslegung der Glaubensregeln wachen. Da schon die richtige Übersetzung eines einzelnen Wortes zB der Bibel schon manchmal/oft strittig ist, kann man sich leicht vorstellen, wo irgendwelche Diskussionen eines einzelnen gegenüber der "Institution" hinführen.

    Aus der vor etwa 2000 Jahren sich entwickelnden Glaubensgemeinschaft der Christen hat sich nun u.a. eine Instituion namens "römisch-katholische Kirche" gebildet an deren Spitze ein, von Funktionären dieser Institution gewählter Papst, dem auch noch eine "Stellvertreterfunktion" Gottes eingeräumt wird, wiederum bestimmt WER denn in diesen wahlberechtigten Funktionärsrang aufrückt.

    Mitglieder, die sich kritisch gegenüber diesem Machtgebilde äussern, haben
    1. keinerlei Möglichkeiten diese Funktionärsauswahl zu beeinflussen
    2. können ihre Mitgliedschaft verlieren ( Funktionärsentscheidung )
    3. werden durch enstprechende, oft sonntägliche Manipulation, davor gewarnt sich unbotmässig zu verhalten. Es droht der Verlust der Seligkeit im ewigen Leben nach dem Tod mitsamt ewiger Verdammnis in der Hölle.
    Lebenslänglich ist ja schon lang -- aber ewig ?

    Wenn ich "die Kirche" als Institution kritisiere ,dann kritisiere ich nicht automatisch das einzelne Mitglied damit. Meine Kritik richtet sich an die Machterhaltungsclique, die dafür sorgt, dass Menschen schon in einem viel zu frühen, "kritikunfähigen" Alter derart manipuliert werden, dass eine Ablehnung der Mitgliedschaft ( nicht Ablehnung des Glaubens !!! )" bzw. das Ablegen dieser Mitgliedschaft bei den allermeisten überhaupt nicht in Frage kommt.
    Das einzelne Mitglied kritisiere ich vielleicht wegen seiner unkritischen Haltung gegenüber diesem System .. das wiederum gehört aber zu meinem Grundrecht der Meinungsfreiheit.

    Mozilla/5.0 (Windows; U; Windows NT 5.1; de; rv:1.8.0.6) Gecko/20060728 Firefox/1.5.0.6

    Wer das Denken nicht attackieren kann -- attackiert den Denkenden / Teppfihler ? pat.pend.

  • Zunächst mal volle Zustimmung an _hb_ - der trifft die Sache nämlich auf den Punkt.

    Zum Thema "GG": Das Grundgesetz war geprägt von Leuten, die unmittelbar miterlebt hatten was eine Aushöhlung dieser Rechte in Deutschland bedeutet und die zum Teil direkt betroffen waren. Das war eine völlig andere Zeit, in der in vielerlei Hinsicht auch ein anderes Werteverständnis herrschte. Das muß nicht zwangsläufig schlecht sein, wie man sieht: Bürgerrechte wurden damals sehr groß geschrieben, und eine Wiederholung der Ereignisse von '33-'45 wollte man auf jeden Fall vermeiden. Soweit die Idee, und von der Umsetzung her ja auch in der Tat nicht schlecht.

    Von mir aus - Fraggle - wende gern Art. 3 Abs. 3 auf die Römisch-katholische Kirche (im folgenden RKK) an - und direkt anschließend bitte den ebenfalls von Dir angesprochenen Art. 2 Abs. 2. Denn der müßte demnach auch für Kirchen gelten - und unter diesem Aspekt müßte die RKK komplett abgeschafft werden, und zwar ohne zu zögern. Warum?

    - sie versucht Frauen vorzuschreiben, ob sie abtreiben dürfen oder nicht. Man mag dazu stehen wie man will, aber ausgerechnet die Organisation in der Frauen absolut kein Mitspracherecht haben will ihnen etwas vorschreiben? Da fällt mir nur Dieter Nuhr ein (im Bezug auf die RKK, nicht auf Dich): Wenn man keine Ahnung hat ...
    - sie benachteiligt regelmäßig Menschen aufgrund ihres Geschlechts oder ihrer religiösen Anschauungen (von anderen Dingen, die im GG gar nicht festgehalten sind, mal gar nicht zu reden).

    Beides gilt wohlgemerkt für die Kirche als Institution - diese Meinung mache ich an dem fest was offiziell geäußert wird. Wenn Kardinal Meisner persönlich der Meinung ist, daß eine Frau nicht abtreiben sollte, ist das sein gutes Recht. Wenn er das auf einer Kanzel im Rahmen einer Predigt äußert, werte ich das als offizielles Statement der Kirche. Wenn der Herr Kardinal dann auch noch dermaßen über die Stränge schlägt wie hier geschehen ist das Maß überschritten.

    Außer der RKK fällt mir nur noch eine einzige Institution ein, die es seit langer Zeit in diesem Umfang schafft sich die Dinge so hinzubiegen wie sie sie braucht, und das ist die angeblich auflagenstärkste deutsche Tageszeitung. Ich habe - wie glaube ich schon erwähnt - sehr starke persönliche Vorbehalte gegen diesen Verein, die ich allerdings nicht unbedingt hier öffentlich ausbreiten möchte. Ich habe auch Erfahrungen mit Vertretern der evangelischen Kirchen gesammelt, und dort sieht man wunderbar daß es auch anders geht. Ich selbst bin Atheist, meine persönliche Anwendung von GG 3.3 besteht darin daß ich an gar keine Religion glaube und umgekehrt auch niemals versuchen werde, jemandem seine Religion auszureden. Was aber dennoch nichts an der Tatsache ändert daß die RKK als Institution nichts anderes als ein Haufen geistiger Brandstifter ist. Wenn das auch nicht unbedingt für die Basis - sprich: die "einfachen Gläubigen" - gelten mag. Denn wenn man sein Leben lang entsprechend geprägt wurde, kommt man da nur schwer wieder 'raus.

    Ich habe unabhängig von Wolfgang Thierse schon länger gesagt daß unsere Generation und selbst die unserer Eltern keine Verantwortung für die Ereignisse des 2. Weltkrieges tragen, aber wir tragen sehr wohl die Verantwortung dafür daß sich so etwas nicht wiederholt. Ich werfe den Amerikanern heute auch nicht mehr vor, daß man dort vor 150 Jahren noch Sklaven gehalten hat. Der Unterschied zwischen den Amerikanern und den Deutschen einerseits und den Vertretern der katholischen Kirche andererseits ist jedoch daß die Amerikaner/Deutschen aus ihrer jeweiligen Geschichte - zumindest in dieser Hinsicht - gelernt haben.

    Oder um es mit Neil Armstrong zu sagen: "Nur ein kleiner Schritt für einen Menschen, aber ein großer Schritt für die Menschheit."

    Gruß
    Rick

    Windows 7 • Windows XP • MacOS 10.14.2 • It's better to be hated for what you are than to be loved for what you're not.

  • Zitat von RickJ

    Ich habe unabhängig von Wolfgang Thierse schon länger gesagt daß unsere Generation und selbst die unserer Eltern keine Verantwortung für die Ereignisse des 2. Weltkrieges tragen, aber wir tragen sehr wohl die Verantwortung dafür daß sich so etwas nicht wiederholt.


    Wenn ich mit so einer Fragestellung wie "Wer trägt die Verantwortung für so etwas" konfrontiert werde, habe ich festgestellt, dass es sehr hilfreich ist, nicht gleich loszugrübeln, sondern sich erst einmal mit den wesentlichen Begriffen der Frage ausenanderzusetzen.
    Was ist also "Verantwortung"?

    [/Augenkrebsgefahr="Wurmsätze"]

  • @alle nach meinem letzten Posting:

    Ich will weder die Fehler der Führung der Kirche gutheißen noch entschuldigen. Ich habe nur eine Aversion gegen Gruppenverurteilung. Wenn ihr von den Oberen der Kriche redet, dann nennt sie einfach. Eine Intitution wird immer noch von Menschen gebildet. Ein Urteil einer Institution trifft die Menschen. Ein Urteil gegen die Oberen einer Institution trifft nicht alle Mitglieder. Das ist nicht kleinkariert, sondern einfach ein Grundsatz unserer Gesellschaft nach dem Krieg, daß keine Gruppe aufgrund ihrer Zugehörigkeit diffamiert werden darf. Und das fängt an, wenn man sichdarüber Gedanken macht, wenn man mit einem Urteil alles trifft. Ein leichtfertig dahergesagtes Institution xyz ist schlecht betrifft die Gruppe, wenigstens in den Ohren derer, die die Gruppe nicht kennen. Daher bei Urteilen bitte sehr auf die verursachenden Personen bezogen.
    Im Übrigen gebe ich den Urteilen in diesem Gesamtbeitrag auf die Personen in den führenden Positionen der Kirche (fast (habe keine Lust alle noch einmal durchzugehen und nachzuzählen)) grundsätzlich recht bzw. stimme zu. Mein Kritikpunkt ist nur der, daß eine (unbewußte?) Verallgemeinerung stattfindet. Im Anfang nicht so tragisch, aber soetwas kann sich ausbreiten. Und es tut keinem weh von Anfang an konkret die betreffenden Personen zu benennen.
    Sorry wenn das kleinkariert wirkt, aber ich denke lieber an morgen als an gestern, und nach einem gesagten Satz an das, was darauf folgen kann.

  • rabenvogel:
    Vielen Dank für den Link. Der Text spricht mir aus der Seele, weil er an alle Opfer jedes Terrors gedenkt und die Sinnlosigkeit kurz, aber prägnant auf dem Punkt bringt. Leider kam ich bisher nur zum überfliegen, aber ein Lesezeichen ist gesetzt.
    Jedes Terroropfer ist sinnlos gestorben. Aber wenn wir ihr Gedenken behalten und im Denken, Handeln und Reden gegen jegliche Form der Unterdrückung vorgehen, egal wo sie passieren und von wem gehandhabt, dann sind sie wenigstens im Nachhinein nicht umsonst gestorben.
    Anmerkung zu von mir zuvor Gesagtem: Deswegen bin ich gegen eine Verantwortung gegenüber einer Gruppe, im deutschen Fall der Juden, sondern für eine Verantwortung gegenüber der Menschheit für alle Menschen, nicht nur derer, die aus einem Land kommen, das in der Vergangenheit staatlichen Terror praktizierte. Wir brauchen keine Vergleiche was schlimmer war, alles war schlimm.