Die demographische Entwicklung ist ist zwar Fakt aber nicht das wirkliche Problem; ein Problem stellt sie lediglich unter den gegebenen wirtschaftlichen Bedingungen dar, mit denen sich auf Dauer keine ca. 82 Millionen Einwohner unter Beibehalten der sozialen Gerechtigkeit und des sozialen Friedens ernähren lassen. Wie kaum ein anderes Land ist Deutschland fast komplett von Exporten abhängig, wobei es über keinerlei nennenswerte Rohstoffressourcen verfügt. Die Produktion wandert unweigerlich weiter aus und ist angesichts der gigantischen Möglichkeiten der billigen Massenproduktion mit gleichzeitiger Ausbeutung der Menschen und Rohstoffressourcen in Asien nicht aufzuhalten. Gleichzeitig wird durch die Abhängigkeit von zu importierenden Rohstoffen die Produktion in Deutschland immer teurer, wodurch die Produktion noch mehr in Billiglohnländer ausgelagert wird. Die wirtschaftliche Zukunft Deutschlands ist unter den gegebenen Bedingungen völlig ungewiss. Deutschland profitiert zwar noch von der Eurozone, aber auch das ist ein zweischneidiges Schwert; kackt der Euro weiter ab, fördert dies zwar die Exporte in den Dollarraum, aber die Importe von wichtigen Rohstoffen für die eigene Produktion, die in Dollar abgerechnet werden, werden entsprechend teurer.
Der unangenehme Nebeneffekt ist, dass wenn die Exporte wieder etwas mehr anziehen, gleich von einem Lichtblick für die Konjunktur die Rede ist und in der Politik alle Mittel und Wege in Gang gesetzt werden, diesen Scheineffekt, von dem jeder weiß, dass er kein Dauereffekt sein wird, künstlich aufrechtzuerhalten - notfalls mit extremen Sparmaßnahmen, die unweigerlich sämtliche sozialen Bereiche treffen werden. Die demographische Entwicklung ist dabei logischerweise nicht wirklich förderlich, ist aber stets willkommen, um den Fokus auf Ursachen von Problemen ganz grundsätzlicher Art darauf abzulenken, um nur ja nicht über jene Probleme reden zu müssen, die schon längst die Spatzen von den Dächern pfeifen: Deutschland hat keine Idee für seine wirtschaftliche Zukunft und klebt am abbröckelnden Image des mittlerweile Ex-Exportweltmeisters; es mangelt an Ideen, wie Deutschland ohne derartige Abhängigkeit von Exporten existieren kann; das ist jedoch die zentrale Frage.
Es ist nicht nur die demographische Entwicklung, die angesichts solcher Tatsachen beängstigend ist; das komplette Sozialsystem kann zusammenbrechen und damit die eigentliche Basis für das, auf das sich ein neues System aufbauen ließe, denn auch die Bildung ist an den Sozialsystemen angekoppelt; vom Technologiestandort können wir dann nur noch träumen. Die Zwickmühle ergibt sich durch den Wachstumszwang, dem wir nie und nimmer auf Dauer gerecht werden können, ohne dass ein Großteil der Bevölkerung in die Armut abrutscht. Die derzeitigen Krisen sind nur die Vorzeichen für das, was uns erwartet.
Dass Köhler im Zusammenhang zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr von wirtschaftlichen Interessen redete, die angesichts unserer Abhängigkeit von Exporten gewahrt werden müssten, war im Grunde ein Freudscher Versprecher, auch wenn er es versuchte zu relativieren und dies nachträglich auf die Piraterie am Horn von Afrika zu schieben, weil im klar war, dass damit auch der Afghanistan-Einsatz gemeint sein könnte und dies insgesamt ein Verfassungsbruch darstellen würde. Dabei ist gerade der Afghanistan-Einsatz bezüglich wirtschaftlicher Interessen für Deutschland mehr als nur fragwürdig, auch wenn Afghanistan - was kaum jemand weiß - über enorme Rohstoffressourcen verfügt, wie etwa Kupfer, Litium etc., und als Transitland für Öl- und Gaspipelines hat Deutschland ebenfalls keinen Vorteil. China und sogar Russland profitieren mittlerweile vom Krieg in Afghanistan, obwohl sie nicht am Krieg beteiligt sind. Das Interesse Deutschlands beschränkt sich lediglich auf die Verbindlichkeit zu den USA, die in Punkto Exporte an einem ähnlichen Problem leiden wie Deutschland, wenn auch mit anderen Vorzeichen - Deutschland hat bezüglich Afghanistan wirtschaftlich gesehen eindeutig auf's falsche Pferd gesetzt. Köhlers Äußerungen könnten jedoch auch diese absurde Situation in den Fokus rücken und die Sinnlosigkeit dieses Krieges, der nicht wirklich einer sein soll, noch mehr in den Vordergrund rücken.
Köhler ist eindeutig über die Heuchelei der Wirtschaftspolitik gestolpert, von der er sich selbst nie wirklich distanziert hat, auch wenn er als Bundespräsident angesichts der Krisen mehr Regulierung der Wirtschaft forderte und weiß, dass dies nur ein Ruf in die Wüste ist. Als Wirtschaftsexperte ist kaum vorstellbar, dass Köhler sich nicht der Zwickmühle bewusst wäre, in die sich insgesamt das kapitalistische Wachstumssystem hinein manövriert hat und Deutschland's Volkswirtschaft droht, mit zu den ersten Bauernopfern zu machen. Das System scheitert an seiner eigenen Widersprüchlichkeit; es reicht nicht mehr, den moralischen Zeigefinger auf die Manager-Boni, auf die Spekulanten und überhaupt auf die Globalisierung zu schieben, und Köhler gehört nicht zu den Leuten, die angesichts der fatalen Situation bereit sind, die Systemfrage zu stellen - da beruft er sich lieber auf seine christlichen Wurzeln, hofft auf Gott und kapituliert angesichts der offenkundigen Ratlosigkeit orthodoxen Festklammerns am maroden kapitalistischen System, das in seiner Widersprüchlichkeit wiedermal an seine Grenzen stößt - da steckt Köhler lieber den Kopf in den Sand, als das kapitalistische "Brauchtum" in Frage stellen zu müssen.
Irgendein Philosoph sagte mal: "Ein echter Revolutionär revoltiert nicht gegen Missbrauch sondern gegen das Brauchtum." .... und es ist nun mal das "Brauchtum", was uns in die Krisen führt, nicht die Symptome.